Johanna Lier – Milch aus Schaf

Johanna Lier – Milch aus Schaf

Donnerstag, 13. Juni 2019 um 19:00 Uhr

Die Veranstaltung ist offen für alle Geschlechter

Moderation: Silvia Süess. Kulturredaktorin WoZ.

 

«Am Abend band Blanka das Pferd an einen Baum, setzte sich mit dem Rücken an den Wagen gelehnt auf die Erde und öffnete ihren grossen Mund, um erschöpft den Mangel an Nahrung festzustellen, schloss ihn wieder und schwieg.

Manchmal gab es eine Kuh. Gestohlene Milch. Heidelbeeren und Pilze, die der Wald hergab. Wenn in den Gärten die Feuer brannten und der Himmel farb- und trostlos wie fauliger Abfall war, starrte Blanka in die Landschaft – Felder, Heidehäute, weidegrünes Haar, während des Tages pralle, gelbe, liebeshungrige Welt, um dann in der Dämmerung sich aufzulösen – und Hannah sog den Rauchgeruch tief ein und fühlte sich entschlossen und zuversichtlich, sie und Blanka, allein in dieser weiten Welt. Wir überleben, weil ich Sorge trage, weil ich Blanka nicht aus den Augen lasse … Noch sind wir beisammen, sie und ich, ich und sie… Und Blanka mahlte mit dem Mund und schmeckte die würzige Erde, die zwischen den Zähnen knirschend zerschmolz, das knackige Korn, das auf der Zunge Wurzeln schlug, spürte, wie die Wellen von Hannahs klammernder Wut über ihr zusammenbrachen.»

 

In ihrem neuen Roman erzählt Johanna Lier die autobiographisch inspirierte Familiengeschichte von papier- und mittellosen Vagabund*innen, die als Geflüchtete in der Ostschweiz eine Nudelfabrik gründeten. Der Bericht einer Reise in die Wüsten und Steppen des Südens und des Ostens und in die Abgründe der Vergangenheit einer Familie verwebt sich mit einem Stück Industrie- und Migrationsgeschichte aus der Schweiz des 19. Jahrhunderts. Eine Suche, die höchst ambivalent bleibt und mitunter auch von einem verstörenden Unbehagen begleitet ist.

Johanna Lier studierte Schauspiel in Bern und absolvierte einen Master of Arts in Fine Arts in Zürich. Sie lebt als Dichterin und freie Journalistin in Zürich. Nach jahrelanger Tätigkeit als Schauspielerin arbeitete sie als Redakteurin bei der Wochenzeitung WoZ. Sie veröffentlichte zahlreiche Gedichtbände und zwei ihrer Theaterstücke wurden uraufgeführt. Recherchen und politische Projekte führten sie für längere Zeit in den Iran, die Ukraine, nach Nigeria, Chile, Israel, Argentinien und Griechenland.

Sie unterrichtet kreatives Schreiben an der Kunsthochschule Luzern und ist im JULL, junges

Literaturlabor mit Jugendlichen, literarisch unterwegs.

www.pillowbook.ch

 

Triggerwarnung: Geschichten der Flucht damals wie heute beinhalten auch das Thema (sexualisierte) Gewalt.

 

Eintritt: Kollekte